Die Pein mit dem Wein

Ich möchte eine neue Rubrik einführen: Bullshit über Alkohol, der von großen Medienhäusern verbreitet wird. Sozusagen die goldene Himbeere der Alkoholberichterstattung. Dieses Mal geht die Medallie an die SZ, und den Münchner Autor Werner Bartens, der von einer Studie berichtet, die der Frage nachgegangen ist, warum Trinken Kopfschmerzen macht. Und dabei auf erstaunliche Erkenntnisse gekommen ist.

Der Text hat mich sehr irritiert und ein bisschen wütend gemacht, also habe ich angefangen, ihn auseinander zu pflücken und mir sind dabei zwei Sachen klargeworden: Erstens, dass der Text beispielhaft ist für eine spezielle Art von Wissenschaftsjournalismus, mit der die Alkohollobby und ihre Autor:innen uns auch in Zukunft beglücken werden. Zweitens, dass denen langsam die Munition ausgeht. Aber eins nach dem anderen. 

Der Text heißt »Die Pein nach dem Wein« und der Google Teaser lautet: Der Kater danach: Warum führt gerade Rotwein so oft zu Kopfschmerzen? Ich denke Äääääh, wegen Alkohol vielleicht?! Ich ahne was kommt, und bin jetzt schon ein bisschen müde. 

Aus Bartens Sprache lässt sich sofort rauslesen, in welcher soziokulturellen Schicht er verkehrt, was für Sakkos er trägt, in welchen Etablissements er diniert und welchen Wein er dazu trinkt. Seine Wortwahl ist für Boomer, die davon träumen, für immer in der Weimarer Klassik zu leben. Wenn ich Redewendungen höre wie »Gar vielfältig sind die Gründe für Störungen des Wohlbefindens« oder »bedauernswerte Zeitgenossen« oder »bedächtige Zecher« spreizt sich immer wir ganz von selbt mein kleiner Finger ab und ich fange an, aus den Leiden des jungen Werther zu zitieren.

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Bartens und seine »Zeitgenossen« fragen sich offenbar seit Jahr und Tag vergebens, was nu eigentlich in Gottes Namen der Grund dafür sein könnte, dass Wein Kopfschmerzen macht. Ist er einfach nicht teuer genug? Ist es die Qualität? Ist es die schlechte Gesellschaft? Hat man sich gar in der Dosis verschätzt?!

Um dieses »Jahrtausende alte Rätsel« zu klären, haben Forschende aus Napa Valley dankenswerterweise eine Studie in Auftrag gegeben. (Eingefleischte Sex and the City-Fans erinnern sich: Napa Valley ist dieses Weinanbaugebiet in Kalifornien, wo ein anderer weißer cis-Boomer, Mr. Big, kurzzeitig wohnt, um sich dort nachts mit Zigarre und Rotwein im Whirlpool via schwülstig ins Telefon geraunter Obszönitäten an seine Exfreundin Carrie ranzuwanzen.)

Diese Weinforscher jedenfalls sind nun einer Substanz auf der Spur, die für die Rotwein-Kopfschmerzen verantwortlich sein könnte. Spoiler: Es ist nicht, was du denkst. 

Es ist — Trommelwirbel — Quercetin!

Dieser Stoff, von dem du garantiert noch nie etwas gehört hast, ist besonders in Rotwein enthalten, erklärt einer der an der Studie beteiligten Winzerforscher. Er entstehe unter der Haut der dunklen Weintrauben, besonders Sonnenlicht begünstige seine Entstehung. Und dieses Quercentin also hemme wiederum ein bestimmtes Enzym, das dafür zuständig ist, Acetaldehyd abzubauen — das giftige Abbauprodukt, das für die schlimmen Vergiftungserscheinungen beim Verstoffwechseln von Ethanol in der Leber verantwortlich ist. 

Obwohl es für den Kater auch andere Ursachen gebe, schreibt Bartels — beispielsweise Histamin, schlechte Gesellschaft oder eine mittelalte Frau zu sein — sei das mysteriöse Quercentin der Hauptgrund dafür, dass es einem nach dem Weingenuss dreckig gehe. 

An diesem Punkt gucke ich nach, wer zur Hölle dieser Werner Bartens eigentlich ist. Bartens ist leitender Redakteur im Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung und Autor für das SZ-Magazin. Er hat sehr viele Sachbücher geschrieben, die sich meist mit medizinischen Themen beschäftigen. Er wurde mehrfach mit renommierten Journalistenpreisen ausgezeichnet. 2009 ist Bartens von einer 50-köpfigen Jury zum “Wissenschaftsjournalisten des Jahres” gewählt worden. Er versteht also vermutlich sein Handwerk.

Ich bin verwirrt. Soll dieser Text womöglich eine Satire sein? 

Nochmal: Der Autor erklärt: Man bekommt einen Kater, weil im Wein ein bestimmter Stoff enthalten ist, der die Enzyme hemmt, die den Alkohol und seine hochgiftigen, krebserregenden Abbauprodukte verstoffwechselt. Nicht wegen der hochgiftigen, krebserregenden Abbauprodukte selbst. 

Ich lese die Studie, um die es geht. Und erkenne dabei: Obwohl Bartens Text mich sowohl stilistisch als auch inhaltlich nervt, er hat dennoch seinen Wert. Er ist ein fantastisches Beispiel für Cherry-Picking! 

Erste Erkenntnis: Es geht überhaupt nicht um Kater

Das, was die Studie untersucht hat, ist eine spezielle Sorte Unwohlsein, die einige wenige Leute nach dem Konsum von  Rotwein (und nur Rotwein!) befällt. Dabei bekommen Betroffene 30 Minuten bis 3 Stunden nach dem Rotweintrinken Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindelgefühle. Es ist ein bisschen wir eine allergische Reaktion. 

Mit dem Kater, den wir alle kennen und hassen, hat das ganze nur wenig zu tun. Kater kriegen wir, weil unser System von Gift und Giftabbauprodukten geflutet wird, und nicht, weil ein bestimmtes Enzym nicht anständig arbeiten kann. Trotzdem ist es einer dieser Mythen, die sich erstaunlich hartnäckig halten; regelmäßig erzählen immer noch Leute, man kriege ja keine Kopfschmerzen von gutem Wein oder klarem Schnaps oder bitteren Getränken. Well, vielleicht bin ich ein Sonderfall, der studiert werden sollte, aber ich hatte schon von allen Sorten Alkohol Kopfschmerzen. Von russischem Wodka, türkischem Raki, billigem Rotwein und teurem Champagner. Alkoholdehyd, dieser übelst giftige, hochgradig krebserregende Stoff, der beim Ethanol-Abbau entsteht, entsteht nämlich beim Abbau aller Sorten Alkohol, rot oder weiß, Wein oder Wodka, billig oder teuer, Oper oder Eckkneipe, völlig egal.

Die Quercentin-Unverträglichkeit und der Alkohol-Kater haben dennoch eine Sache gemeinsam, nämlich, dass sich die Beschwerden vermeiden lassen, indem man keinen Rotwein trinkt.

Abstinenz ist allerdings nicht im Mindesten das, worauf es die Wissenschaftler:innen abgesehen haben, denn, hier kommt der zweite Punkt, den man beachten sollte, wenn man so Texte liest: Die Studie wurde durchgeführt von der Agrarökonomie-Fakultät einer kalifornischen Universität und finanziert von der Wine Spectator Scholarship Foundation — einer Stiftung, die ins Leben gerufen wurde, »um Bildungseinrichtungen und philanthropische Organisationen zu unterstützen, die Menschen dabei helfen, Teil der Wein- und Gastgewerbebranche zu werden.« 

Andrew Waterhouse, einer der Leute, die an der Studie beteiligt waren, sagt: Das erklärte Ziel dieser Studie sei es, Winzern dabei zu helfen, Wein zu verkaufen — und allen Leuten, inklusive denen, die eine Allergie auf irgendwelche Stoffe in Rotwein haben, zu ermöglichen, trotzdem Rotwein zu trinken.

Cherry-Picking (eine einzelne Information aus einer einzelnen Studie heranzuziehen, die den eigenen Standpunkt stützt und alle anderen Informationen, die den Standpunkt widerlegen, bewusst ignorieren) ist eine der Methoden, mit denen die Alkohollobby arbeitet und für die sich Journalisten wie Bartens gerne einspannen lassen. 

(Besonders oft wurde das im Bezug auf Alkohol gemacht, indem man jahrzehntelang auf der Behauptung beharrte, Alkohol sei gut fürs Herz. Es gab zwei Argumente, die diesen mittlerweile vielfach widerlegten Quatsch belegen sollten. Erstens: Die Franzosen — die ja bekannterweise total gerne Rotwein trinken — leben statistisch gesehen zwei Jahre länger als die Amerikaner; das müsse logischerweise am Rotwein liegen (Französisches Paradox). Zweitens: Resveratol, ein bestimmter Stoff im Rotwein, sei gut fürs Herz. Das wäre etwa so, als würde man behaupten, der Zellstoff im Zigarettenpapier sei gut für die Verdauung, daher ist es nur logisch, zu schlussfolgern: Rauchen schützt vor Darmkrebs.)

Der Autor macht hier bewusst keinen Unterschied zwischen dem »Kater nach durchzechter Nacht« und der Quercentin-Sensibilität, die der Gegenstand der Studie war. Er verschleiert, dass es um zwei unterschiedliche Sachen geht.  Er schreibt: »für Schädelweh nach durchzechter Nacht gibt es auch andere Gründe« und lenkt den Fokus immer wieder auf Details, die zwar nicht direkt falsch sind, aber fürs große Ganze eher irrelevant. Das Ziel ist, dass die Leute nach dem Lesen des Artikels mit der Info rausgehen, mit der auch ich vor meiner Recherche rausgegangen bin: Es gibt einen Stoff im Rotwein, der schlimmere Kater macht, deswegen trinke ich das nächste Mal besser Weißwein. 

Werner Bartens hat sich im Lauf des letzten Jahrezehntes übrigens oft über Alkohol geäußert. Und die Art seiner Äußerungen hat sich mit der Zeit verändert. 

2012 noch erklärt er in einem mich in den ersten 18 Sekunden schon komplett aggro machenden Video, vor einer klinisch weißen Schrankwand (oder sowas) sitzend, in dem entspannt-autoritären Ton eines Mannes, der es gewohnt ist, dass ihm zugehört wird, dass Rotwein das Leben verlängere, gegen Demenz schütze und sogar die weibliche Fruchtbarkeit steigere! 

Puh, okay. 

(Der Wein sei nicht direkt für die bessere Fruchtbarkeit verantwortlich, räumt er immerhin ein — es läge daran, dass Frauen, die »mäßig, aber regelmäßig« tränken, »häufiger in Gesellschaft von Männern sind, die ebenfalls mäßig, aber regelmäßig trinken« zwinkerzwinker)

Wissenschaft at its best!

Wenig später, 2014, hat Bartens ein Buch veröffentlicht, dass sich gegen den »Bevormundungsterror« der Gesundheitsdiktatur richtete, die einem mit gut gemeinten Ratschlägen die Stimmung verhagele. Um gesund zu bleiben solle man stattdessen lieber den eigenen Gefühlen trauen. Ohne vorzuhaben, das Buch je zu lesen, nehme ich jetzt einfach mal an, dass es darin mindestens ein Kapitel gibt, das sich  ausführlich gegen den spaßbefreiten Selbstoptimierungszwang der Abstinenzler positioniert. Widerlegt mich gerne, wenn ich mich irren sollte.

Doch Werner Bartens schwenkt seit dem Ende der Zehner Jahre langsam um. 

Er schreibt zum Beispiel 2019 — sehr untypisch für ihn: » Alkohol ist eine Bedrohung, kein Kulturgut«, und stellt 2022 sogar klar, dass »aller Drogenkonsum riskant« ist, natürlich besonders das Cannabis , aber leider auch der Alkohol. 

Mittlerweile haben die meisten Journalist:innen aufgehört, den idiotischen, tausendfach widerlegten, immer schon auf komplett falschen, unzuverlässigen, pseudo-wissenschaftlichen Studien beruhenden Schwachsinn, Alkohol sei gesund, zu reproduzieren. Auch Bartens. Und warum hat er damit aufgehört? Weil er ein Populist ist. Und alles was er über Alkohol schreibt, ist populistisch. Seine Texte über Wein sind immer schon genau das gewesen, was die sein Publikum hören wollte. Und das macht doch optimistisch: Wenn sogar schon die alten weißen Weinpopulisten einlenken, weiß man, dass der Wind sich dreht.

Eine Berichterstattung, die verzweifelt genug ist, das arme, unschuldige Quercentin zum Gegenstand einer Alkohol-Story zu machen, steht mit dem Rücken zur Wand, Leute. Absurder wird es nicht mehr. Denen gehen die Argumente aus.

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Alkohol ist ein Kulturgut – Na und?

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Habe ich eine Sucht-Persönlichkeit?