Was ist PAWS - Post Acute Withdrawal Syndrome

Dieser Artikel behandelt PAWS (Post Acute Withdrawal Syndrome). Es handelt sich dabei um eine Zusammenfassung von Mikas Recherchen sowie ihrer eigenen Erfahrungen. Es ist kein medizinischer Rat - Das bleibt den Fachpersonen vorbehalten.

Vom Artikel über einen alkoholfreien Monat bis hin zu dramatischen Dokus über Entzugskliniken - Die erste Phase des Alkoholentzugs ist leicht erzählt: Das Gift bleibt weg und zack! Im Dry January hat man im Szeneviertel bessere Haut! Besseren Schlaf! Gewichtsverlust! Ganz anders natürlich in der Klinik am Stadtrand, wo einfach nur Januar ist und das Händezittern losgeht. Egal, wie wir unseren Entzug branden, wir rechnen in den ersten Tagen und Wochen mit körperlichen Reaktionen auf die Abstinenz.

Etwas unbeachtet bleiben dabei die mittelfristigen Effekte des Alkoholentzugs (vielleicht auch, weil die meisten Journalist:innen finden, dass 30 Tage für ihr Selbstexperiment völlig ausreichen). Dieses weniger beachtete Phänomen trägt den unpassend niedlichen Namen “PAWS” - Post Acute Withdrawal Syndrome. Es bezeichnet eine Reihe von Symptomen, die nach (“Post”) dem akuten Entzug (“Withdrawal”) auftauchen können. Wer den englischen Begriff googelt, stößt dazu auf diverse Seiten – Im deutschen Internet herrscht dagegen eher Leere. Ganz zufällig ist das nicht, denn es handelt sich bei dem Phänomen nicht um eine offizielle Diagnose, und es herrscht auch kein wissenschaftlicher Konsens darüber, was genau man unter PAWS verstehen oder wie man es behandeln soll. Trotzdem finden sich viele Abhängige auf dem Weg in die Abstinenz in den Beschreibungen wieder.

Addictioncenter.com erklärt in seinem Artikel zu PAWS, dass es zwei Stadien des Entzugs gibt. Das erste, akute Stadium sei ausführlich erforscht und sollte insbesondere bei körperlicher Abhängigkeit von medizinischer Hilfe begleitet werden. PAWS, das im zweiten Stadium des Entzugs auftritt, sei dagegen in erster Linie psychisch. Eine glasklare Trennung zwischen dem, was körperlich und was psychisch ist, gibt es natürlich nicht. Fest steht jedoch, dass der erste körperliche Entzug von einer Phase abgelöst wird, in der sich Geist und Körper erholen - und manchmal geht das mit unangenehmen Empfindungen einher. Weder die Symptome noch ihre Intensität folgen dabei einem klaren Zeitstrahl. Du kannst also nicht sagen: Ah! Jetzt kommen zwei Wochen Schlafstörungen und dann ist die Nummer durch. Vielmehr können Symptome kommen und gehen. Laut Addictioncenter.com macht genau dieser Umstand PAWS zu einem Rückfallrisiko. Wenn man sich die Liste mit möglichen Symptomen anschaut, kann man auch verstehen, wieso.

PAWS Symptome

  • Schlaflosigkeit oder andere Schlafstörungen

  • Reizbarkeit, Aggression, Feindseligkeit

  • Angst- oder Panikattacken

  • Depression

  • Beeinträchtigte Konzentration

  • Mangel an Enthusiasmus oder Motivation

  • Stimmungsschwankungen (starke Stimmungshochs und -tiefs)

  • Müdigkeit oder geringe Energie

  • Nebel im Kopf

  • Schlechtes Gedächtnis

  • Schlechte Impulssteuerung

  • Erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Stress

  • Verlangen nach Alkohol oder anderen Drogen

  • Alkohol- oder andere Drogenträume

  • Apathie

Warum tritt das Postakute Entzugssyndrom auf?

Da das Phänomen nicht ausgiebig erforscht ist, gibt es unterschiedliche Meinungen dazu, warum diese Symptome auftreten. Ich bin bei den Recherchen auf vier wesentliche Faktoren gestoßen, die zu PAWS beitragen: homöostatische Anpassung, physiologische Anpassungen sowie Stress und Gewohnheit. Im Einzelnen bedeutet das:

Homöostatische Anpassung: Wer regelmäßig trinkt, trainiert sein Gehirn auf den Umgang mit der Droge. Die Gehirnchemie verändert sich und es kann einige Zeit dauern, bis das Gehirn wieder zurück in die Balance gefunden hat. Bei PAWS kann das in Form von Stimmungsschwankungen, Erschöpfung, Heißhunger und anderen psychologischen Anzeichen auftreten. Mehr über diesen Prozess habe ich hier aufgeschrieben.

Physiologische Anpassungen: Es kann sein, dass der ausgiebige Konsum auch andere Körperfunktionen, wie etwa zur Regulierung von Verdauung oder Hormonen, beeinträchtigt hat. Auch diese Prozesse können sich in Entzugssymptomen widerspiegeln und einige Zeit brauchen, um sich zu normalisieren. Auf der englischsprachigen Website Verywellmind liest man unter anderem, dass Alkoholkonsum Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat, auf Schilddrüsenhormone, die Vitamin-D-Aufnahme sowie auf den Menstruationszyklus. 

Stress: Seien wir ehrlich. Es kann psychisch belastend sein, mit der Einnahme einer Droge aufzuhören. Man lernt, mit neuen und alten Gefühlen umzugehen, neue Routinen aufzubauen und das Leben ohne Alkohol sinnvoll zu gestalten. Das kann auch mal stressig werden, wenn man feststellen muss, dass man einige seiner Freund:innen nur besoffen erträgt oder dass die jahrelange Realitätsverweigerung einen einholt (Aahh! Brief vom Finanzamt!).

Gewohnheit: Alte Gewohnheiten sind hartnäckig. Ein wichtiger Aspekt des Nüchternwerdens ist es, neues Verhalten in Bezug auf Alkohol zu lernen. Die Rückkehr zur Gewohnheit kann gefährlich sein, wenn daran mächtige Trink-Trigger geknüpft sind. Doch gleichzeitig kann auch der Verlust alter Rituale verunsichernd wirken und die psychologischen Symptome wie Verlangen, Angst oder Erschöpfung verstärken. 

Wieso es hilft, über PAWS Bescheid zu wissen

Das fiese am Postakuten Entzugsyndrom ist, dass es sehr schwer zu greifen ist. Jede:r ist mal schlecht drauf und man muss nicht alle menschlichen Regungen als Anzeichen einer Störung sehen. Ich selbst hatte schon früh in einer englischsprachigen Facebook Gruppe zum Thema Abhängigkeit etwas über PAWS gelesen und war froh, ein Wort für diese diffuse Ansammlung von Ugh zu haben. In Phasen, in denen ich einige dieser Symptome an mir beobachten konnte, halfen mir die Informationen, um meinen Zustand besser einzuordnen und sogar als ein Zeichen der Heilung zu begreifen. Mir gefiel die Vorstellung, dass Körper und Geist dabei waren, ein Gleichgewicht herzustellen, dabei hin und her schaukelten und eben manchmal etwas überkorrigierten. 

Die wichtigste Information ist aber, dass diese Phasen vorbeigehen. Wenn sich gerade alles zu schwer und zu sinnlos anfühlt, erscheint es naheliegend, auch die Nüchternheit als zu schwer und zu sinnlos empfinden. Ich hatte zwar den Gedanken Wenn es mir auch ohne Drink scheiße geht, wozu dann die ganze Sache? Doch das Wissen über PAWS gab mir genug Abstand, um dieser unheilvolle Frage nicht in den Abgrund hinterherzuspringen.

Was kann man bei PAWS tun?

Schraub deine Ansprüche runter 

Klar, sieht es toll auf Instagram aus, wenn Leute joggen gehen, achtsame Morgenroutinen aufbauen und ihre Kleiderschränke decluttern. Klar, ist es gut, verschiedene Techniken und Praktiken auszuprobieren und zu schauen, was für dich funktioniert. Es ist aber genauso gut, die eigenen Ansprüche an ein perfektes Leben weit genug herunterzuschrauben, um nicht in die Selbstüberforderung abzudriften. Auch wenn ich Phasen hatte, in denen ich joggen ging und meine Wohnnung entmüllte - Manchmal hatte ich dafür schlicht keine Kraft. Dann zog ich mich für ein paar Tage auf mein Sofa zurück, bestellte Pizza und zockte Playstation. Vielleicht war das nicht die gesündeste Wahl, die mein Higher Self zum Glitzern brachte, aber es war das, was mich in dem Moment nüchtern hielt. 

Mach dir klar, was du gewinnst, wenn du nüchtern bleibst

Mir hat es geholfen, ein kleines Notizbuch zu führen, in dem ich mir Sternstunden meiner Nüchternheit notierte. Das waren große und kleine Situationen, in denen ich mich anders verhalten hatte als früher, Erkenntnisse über mich selbst, die ich im Zustand der Abhängigkeit nicht gehabt hätte oder Momente, in denen ich realisierte, dass eine Beziehung, eine neue Tiefe erlangt hatte. Solche Notizen helfen, um den unangenehmen Ist-Zustand in Perspektive zu rücken.

Such dir Hilfe

Du kennst dich selbst am besten. Im Idealfall hast du einen Therapieplatz, aber wir wissen ja auch alle, dass das nicht immer so einfach ist. Wenn es dir so schlecht geht, dass du nicht weißt, ob du da durchkommst oder wenn diese Symptome länger anhalten, wende dich an Freund:innen, Ärzt:innen, Suchtberatungsstellen oder Selbsthilfegruppen. 

Auf der Seite der Anonymen Alkoholiker findest du eine Karte mit Meetings. Wenn du davor noch Angst hast, hilft dir vielleicht diese Podcastfolge. Bei den Guttemplern gibt es die sogenannten Sober-Guides, das sind geschulte Ehrenamtliche, die du anrufen kannst. Und auch viele Sozialverbände betreiben Gruppen, zu denen du hingehen kannst.

Lass dich nicht hetzen

Nüchtern wird man nicht im Sprint - und auch nicht im Marathon. Es geht nicht darum, eine Ziellinie zu überqueren, sondern ein Leben zu leben, das zu dir passt. Es wäre komplett absurd, das von heute auf morgen perfekt hinzukriegen. Deshalb: Sei gut zu dir, nimm dich ernst und atme erstmal durch. Das schadet nie.


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