Alkohol und Feminismus: Wie Alkohol mir geholfen hat, die zu werden, die ich immer sein wollte
Wäre mein Leben ein amerikanischer High School Film, ich hätte nicht davon geträumt, die beliebte Cheerleaderin zu werden. In den sozialen und hormonellen Wirren der Schulzeit (und wenn ich ehrlich bin, darüber hinaus) wollte ich das “Cool Girl” sein. Das Cool Girl ist die, die mit den Jungs abhängt, feiert und flucht und sie alle unter den Tisch trinkt. Sie ist dabei natürlich hübsch und begehrenswert, klar. Sie ist aber zu cool, um über ihr Gewicht zu reden. Sie bestellt ihre eigene Portion Pommes. Sie ist anders als die anderen Mädchen. Und das beste: Sie ist einfach so locker drauf, dass sie die Fehltritte ihrer Kumpels weglachen kann. Gewöhnliche Mädchen wären hysterisch geworden. Sie steht da drüber. Traumfrau.
Genauso wie andere Figuren, die wir kennen, weil sie wieder und wieder in Variationen erzählt werden, ist auch das Cool Girl ein Idealtypus – allerdings einer mit perfidem Twist: Sie sieht aus wie eine emanzipierte Frau oder ein Mädchen mit eigenem Kopf, aber ist in ihrer Funktion doch bloß wieder Spiegel für die männlichen Sehnsüchte. Sie trägt klassisch männlich konnotierte Eigenschaften als Accessoires und hebt sich damit von den “anderen” Mädchen ab. Sie ist ein Trojanisches Pferd des Patriarchats, weil das Aneignen männlich konnotierter Verhaltensweisen und Interessen gemeinhin als ein Akt der Emanzipation gelesen wird, aber oft doch wieder nur dieselbe Soße ist. Aber ich greife vor.
Wie man ein Cool Girl wird
Cool Girls hängen mit “den Jungs” ab und vertragen entsprechend größere Mengen von Bier und hartem Zeug. Viel zu trinken hat mir allerdings auch geholfen, die Eigenschaften (bzw. die Abwesenheit der Eigenschaften) des Cool Girls zu kultivieren: Alkohol hilft nun einmal dabei, cool zu bleiben. Er hilft, auf alles mögliche zu scheißen, seine eigene Pommes zu bestellen und bedeutungslosen Sex zu haben. Er hilft dabei, die Gesellschaft von Idioten zu ertragen. Er hilft dabei, die eigenen Grenzen dem Komfort eines Mannes zu opfern. Er hilft, zynisch zu werden. Er hilft, handlungsunfähig zu werden. Er hilft dabei, Konfrontationen aus dem Weg zu gehen, sich selbst die Schuld zu geben und lange in schlechten Beziehungen zu bleiben. Das ist alles wichtig, denn man will ja Cool Girl und keine verklemmte Emanze oder hysterische Tussi sein. Und das, wogegen Alkohol am allerbesten geholfen hat, war das Cool Girl No-Go Nummer 1: Wut.
Das heisse brodelnde "Nein!"
Mit “Wut” meine ich nicht diese generelle Grundgenervtheit, die sich irgendwann Ende 20 einschleicht, weil man nicht versteht, wie erwachsene Menschen es immernoch nicht schaffen auf Rolltreppen rechts zu stehen und links zu gehen. Ich meine richtige Wut. Das heiße brodelnde Nein. Die körperliche Reaktion auf das Überschreiten der eigenen Grenzen. Der Unwille in diesem Moment all den guten Argumenten und Ausflüchten des Gegenübers zuzuhören. Wut über die Verhältnisse, Wut über Ungerechtigkeit. Wut, die uns ermächtigt. Wut, die kein “Oh Entschuldigung, nein du zuerst” kennt, wenn uns jemand unterbricht. Wut eben – die Emotion, die Frauen sowieso nicht fühlen sollen, wenn sie nicht als hysterisch gelten wollen. Diese Wut ließ sich durch Alkohol ganz wunderbar zügeln.
Alkohol und Feminismus? Ich bin emanzipiert, also trinke ich!
Mich in die Passivität und emotionale Beschränktheit zu saufen, habe ich natürlich nicht allein geschafft. Die Gesellschaft hat mir wirklich außerordentlich dabei geholfen. Ich meine – Schnaps an Autobahnraststätten, Baby! Ich hatte bei dem Unterfangen, ein Cool Girl zu werden, aber noch eine andere unverhoffte ideologische Stütze: die Frauenbewegung.
„Ein uraltes Vorurteil wurde abgeschafft“
Oder um genau zu sein: Jene Aspekte der Frauenbewegung, die von der Alkoholindustrie instrumentalisiert wurden. Wozu? Na klar! Um mehr Frauen dazu zu bringen, Nervengift in sich hineinzukippen. Man schaute sich das Prinzip schlicht bei der Tabakindustrie ab. Diese inszenierte Ende der 1920er Jahre, mit dem Slogan “Torches of Freedom” / “Fackeln der Freiheit” rauchende Frauen als rebellische Freiheitskämpferinnen und das Rauchen selbst als Demonstration von Gleichberechtigung. Mit Erfolg. Denn das Aneignen historisch männlich-konnotierter Verhaltensweisen und Interessen ist schließlich gleichzusetzen mit Emanzipation.
Vom Hausmittel zum Rauschmittel
Ähnlich wie Rauchen, war auch Saufen für Frauen lange Zeit tabu. Einige Produkte aus den 50er Jahren bestanden zwar hauptsächlich aus Alkohol, wurden aber als Medizin und nicht als Genussmittel vermarktet. Das “Herz-Kreislauf-Tonikum” Frauengold sollte beispielsweise glücklich und aktiv machen und sogar gegen Regelbeschwerden helfen, wie der Slogan subtil mit dem Holzhammer versprach: „Frauengold bringt Wohlbehagen, wohlgemerkt an allen Tagen“.
Als man im Laufe der 60er Jahren Frauen immer mehr als Menschen oder zumindest als Absatzmarkt erkannte, änderte sich auch die Art des Marketings. Nun prangten verführerische, aktive, abenteuerlustige (weiße) moderne Frauen auf den Plakaten – allerdings immer für den männlichen Blick inszeniert. Smirnoff warb beispielsweise mit dem Slogan “I never thought of burning my bra until I discovered Smirnoff”. Und siehe da: Der Alkoholkonsum bei Frauen stieg an.
Laut dem Psychologen Dr. Jürgen Rehm, der an der TU Dresden zu Alkohol und Abhängigkeit forscht, besteht sogar ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen dem Grad an Emanzipation in einem Land und dem Anteil an Alkohol, den Frauen dort konsumieren. “Alkohol ist in Deutschland ein Kulturgut.” So Rehm gegenüber dem Magazin der Süddeutschen Zeitung “Er gehört in Deutschland zum guten Leben dazu, das gilt auch für Frauen, gerade, wenn sie erfolgreich sind.”
Alkohol und Feminismus mit Karriere: Die erfolgreiche Frau mit dem Drink in der Hand
Filme und Serien sind sind voll mit weiblichen Charakteren, die diese von Rehm angedeutete “Work Hard, Play Hard”- Einstellung vertreten, wenn auch meist nicht explizit. Vielmehr funktioniert der Drink als charakterisierendes Accessoire für “starke Frauen”. Carrie Bradshaw aus Sex and the City trinkt bekanntermaßen Cosmopolitan (Eine weltgewandte und moderne Frau). In der Serie The Good Wife trinkt die Protagonistin bedenkliche Mengen Rotwein (Eine gebildete und überarbeitete Frau). Robin aus How I met your Mother trinkt meist Bier oder Whiskey, der “alt genug ist seinen eigenen Whiskey zu bestellen” (Ein Cool Girl und Traumfrau).
Screenshot: Mary aus Verrückt nach Mary sagt zu ihrer Freundin: “I want a guy who can play 36 holes of golf, […] and eat hot dogs, I’m talking sausage hot dogs and beer, not lite beer, but beer. That’s my ad, print it up.” Krass, Mary! Ob du so jemanden wohl finden wirst?
Wenig ruhmreiche Gastauftritte in meinem Leben
Diese Figuren und ganz besonders die Cool Girls, haben mir dabei geholfen, Alkohol zu einem festen Bestandteil meiner Identität zu machen. Und das hat es mir ermöglicht, weiter zu trinken.
Wenn Alkohol ein Mensch wäre, der so konsequent Gastauftritte in den beschissensten (und machtlosesten) Situationen meines Lebens hat, ich glaube, ich hätte seine Nummer schon deutlich früher gelöscht. Doch ich habe weiter getrunken. Ich habe weiter getrunken, obwohl ich Opfer von Übergriffen wurde, gegen die ich mich aufgrund meiner Promille im Blut nicht wehren konnte. Ich habe weiter getrunken, obwohl das Freundinnen genauso passierte. Ich habe getrunken, obwohl jeder der Täter, von denen ich wusste, mindestens alkoholisiert war. Ich habe getrunken, um mit den Erlebnissen klarzukommen. Und jeder, der die Rolle des Alkohols in diesen Situationen auch nur zu erwähnen wagte, bekam mit rechtschaffener Überzeugung zu spüren, was ich von ihm hielt: jämmerlicher Vertreter einer toxischen Rape Culture.
Klar war dieses Urteil in den meisten Fällen durchaus gerechtfertigt, doch bei dem Versuch mich gegen Schuldzuweisung zu schützen, verteidigte ich den Alkohol stets gleich mit. Andere Menschen benutzten ihn als Instrument des Victim Shamings. Bei mir führte das dazu, dass ich mich gar nicht ernsthaft fragte, wieso ich mehr als einmal das Bedürfnis gehabt hatte, mir so komplett die Lichter auszuknipsen, dass ich mich nicht mehr wehren konnte. Um mich das ernsthaft zu fragen, musste ich aufhören, unbewusst meinen Konsum zu verteidigen. Und dafür musste ich aufhören zu trinken.
Weintrinken: Allgegenwärtiges Lösungsangebot hart arbeitender Frauen
Seit ich nüchtern lebe, bin deutlich weniger das Cool Girl, das ich immer sein wollte. Meine Gefühle machen sich mit einer neuen Intensität bemerkbar und allen voran die brodelnde Wut. Dann merke ich, wie tief der Mechanismus sitzt, Alkohol auf Gefühle zu kippen, und wie ungewohnt es ist, das alles (die Welt, die Wut, mich selbst) ständig in aller Gänze zu spüren. Und gleichzeitig: Welche Ermächtigung es bedeutet, Grenzen zu ziehen und sich nicht in die Angepasstheit zu saufen.
Lange Zeit habe ich das Trinken unterbewusst als einen Akt der Emanzipation gedeutet. Jetzt fällt mir auf, wie absurd das alles ist: Es gibt Weingläser, auf denen steht “Because Trump” oder “Nevertheless She Persisted”. T-Shirts auf denen steht “I just want to drink wine and smash the patriarchy” und mehr als ein Cocktailbuch, das der weiblichen Emanzipation gewidmet ist. Wir verkaufen es als “Self-Care”, uns einen reinzustellen. Wir sagen, “Das Leben hat wieder einen Gin” und haben Angst, dass jemand mal ernsthaft besorgt nachfragt. Über allem schwebt das solidarische Weintrinken als allgegenwärtiges Lösungsangebot hart arbeitender Frauen durch die Gruppenchats.
Selbstverständlich bin ich für das absolut gleiche Recht aller Menschen, sich die Birne wegzubrettern. Aber regelmäßiger Suff geht eben auch immer mit der Abgabe von Kontrolle und Macht einher – und das in einer Welt, in der diese Macht ohnehin schon sehr ungleich verteilt ist. Ich selber bin kein Cool Girl mehr und lerne langsam, dass ich auch nie wirklich eins war. Dafür ist das Nüchternsein mein persönlich größtes Fick Dich ans Patriarchat – und eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens.
Dieser Text wurde inspiriert durch denn Text „Cool Girl“ von Mia und Holly Whitakers Buch „Quit Like a Woman“